Mental Health, mehr als nur ein Trend-Thema? - 3 Praxistipps


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Betriebliches Gesundheitsmanagement, kurz BGM, begleitet uns HR-Menschen schon eine ganze Weile. Der zugegebenermaßen eh schon wenig „sexy“ Begriff hat seit einiger Zeit ein paar zusätzliche Konkretisierungen erhalten. Neben der „Gefährdungsbeurteilung“ (was für ein schreckliches Wort!) mit Blick auf psychische Belastungen, geistert vor allem der englische Begriff „mental health“ durch die Medien.

Spätestens die Corona-Pandemie mit einer Mehrzahl von Beschäftigten in remote Arbeitssituationen, zunehmender Entgrenzung und einem oft deutlich gesteigerten Arbeitsvolumen an digitalen Geräten, hat dafür gesorgt, dass die meisten Personalabteilungen sich mit dem Thema Mental Health befassen. Während vor der Pandemie HR vor allem Krankheitsstatistiken sowie Wiedereingliederungsgespräche geführt hat, rückt Prävention und Gesundhaltung jetzt stärker in den Fokus.

Der Markt bietet dabei eine Vielzahl spannender Lösungen, um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu verbessern beziehungsweise zu erhalten. Aber Plattformen und Tools sind nur ein Teil der Lösung. Es beginnt wie so oft mit der richtigen Haltung.

Mit diesen drei Praxistipps kannst Du als Arbeitgeber starten:

  1. Sorge für eine konsequente Einhaltung von Urlauben und Ruhezeiten
    Was erst einmal banal klingt, ist in der Praxis längst nicht mehr der Standardfall. Gerade im mobilen Zeitalter und einer digitalen Dauererreichbarkeit ist die Verlockung auch im Urlaub zum geschäftlichen Smartphone zu greifen oder sich „mal schnell“ in den betrieblichen Mail-Account einzuwählen groß. Gebt stattdessen Euren Mitarbeitenden das beruhigende Gefühl, dass es absolut gewollt ist, während dieser Phase komplett abzuschalten.

    Ich selbst erkenne WIRKLICHE Erholung meist daran, wenn ich nach dem Urlaub mein Rechner-Passwort vergessen habe, das ich sonst mehrmals pro Tag eingebe.
     
  2. Etabliert eine körperlich-aktive Unternehmenskultur
    Wir Wissensarbeiter sitzen deutlich zu viel. Und leider hat nicht jedes Unternehmen höhenverstellbare Schreibtische oder ähnlich hoch-ergonomische Ausstattung. Trotzdem ist es möglich, Bewegung (während der Arbeit) als Teil der Unternehmenskultur zu pflegen. Beginnend mit gemeinsamen Laufrunden am Morgen oder Abend, gemeinsamer sportlicher Betätigung in der Mittagspause oder auch Meetings, die als „Walk-and-Talk“ beim gemeinsamen Spazierengehen abgehalten werde, ist die Bandbreite groß.

    Ebenso könnt Ihr Radfahr-Aktionen oder Challenges sowie Aktionstage nutzen, um klarzustellen, dass Bewegung und Sport keine Ablenkung von der Arbeit sind, sondern bewusste und gewollte Gesundhaltung. Habt Ihr die Möglichkeit von Outdoor-Aktivitäten, weg von digitalen Geräten, ist das natürlich um so besser.

    Und auch wenn Dir der Zusammenhang bisher nicht so bewusst war: Körperliche Aktivität stärkt auch den Geist und wirkt sich positiv auf die Psyche aus. Zumindest wenn Ihr nicht sofort in einen Wettkampf- oder Leistungssport-Modus verfallt.
     
  3. Kommuniziert deutlich mehr nichtfachlich
    Wir Menschen brauchen Kommunikation, möchten Eingebundenheit in eine soziale Gemeinschaft spüren. Dazu braucht es Kommunikation. Viel (mehr) Kommunikation. Allerdings nicht nur fachlicher Art. Denn meist sind es gerade die nicht-fachlichen Unterhaltungen, die am Ende dazu führen, dass zwischenmenschliche Verbindungen entstehen, Netzwerke – oder aus Unternehmenssicht positiv formuliert „kurze Dienstwege“.

    Auch solltet Ihr niemals das Thema „gegenseitiges Vertrauen“ unterschätzen. Denn offene und ehrliche Kommunikation stärkt die Sicherheit im Umgang miteinander. Kolleginnen und Kollegen sowie Führungskräfte werden einschätzbar. Das reduziert Stressoren deutlich. – Dann ist es auch deutlich leichter sich wieder zu vertragen, wenn doch mal „die Fetzen fliegen“.

Machet also aus dem Thema „Mentale Gesundheit“ keine Raketenwissenschaft. Fangt klein, aber konsequent an. Noch heute!

Welche Maßnahmen stehen bei Euch zum Thema mentale Gesundheit als Arbeitgeber schon auf dem Programm?


8 Antworten

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Hallo Stefan, 

zunächst, um das direkt deutlich zu machen: ich mag das Thema und die Idee dahinter. Sehr sogar, da das Thema Burnout auch immer jüngere Mitarbeitende treffen kann, wie ich vor Kurzem noch feststellen musste. Entweder weil sie sich verheizen lassen, die Belastung gar nicht merken oder deren Auswirkungen falsch deuten oder die Priorisierung von Arbeit und Freizeit eine andere geworden ist. 

Aber, und das denken wahrscheinlich einige (gedanklich) Ältere oder in der Form geprägte Führungskräfte/Inhaber aus meiner Branche, von denen du sicher auch einige kennst: “Was soll der Quatsch denn jetzt schon wieder?!?!? Das ist unproduktive Zeit! Die sollen arbeiten!!!”

Also im Ernst, selbst Inhaber, die grundsätzlich erkennen, das sich beim Personal derzeit fast alles im Wandel befindet und der Fokus auf die Mitarbeitenden wichtig und richtig ist, kommen doch irgendwann an den Punkt, wo es (finanziell, in deren eigener Erziehung zu dem Thema Arbeit etc.) wehtut. Ich sage nicht, dass es richtig ist, das zu denken, aber besonders bei Punkt 3 wird es vielen sehr schwer fallen dem bedingungslos zuzustimmen, meine ich. 

Was kann man gegen die Vorurteile machen, um bei deinen Beispielen zu bleiben?

  1. Es dem Mitarbeitenden aber gar nicht stört, er/sie das gerne macht und auch schon mal ein paar E-Mails wegarbeiten möchte, bevor es am 1. Tag nach dem Urlaub zu sehr erschlägt? Oder man doch ganz froh ist, dass jemand die Arbeit erledigt und einfach etwas mehr Einsatz zeigt?
  2. “Ist es dann Arbeitszeit, wenn man zusammen joggen geht? Was machen die denn dann, wenn sie gemeinsam spazieren gehen? Demnächst wollen die alle noch mit ihren HUnden raus!”
  3. “Nichtfachlich kommunizieren?!? Jetzt soll ich für das Gequatsche auch noch bezahlen?!?!”

Also, das sind nicht meine Gedanken, aber ich bin sicher, dass es diese in genau der Form gibt. Und als Diskussionsgrundlage würde ich gerne deine Gedanken dazu lesen. Für mich selber ist Punkt 1 am interessantesten, da ich genau sowas vor Kurzem noch erlebt habe und es völlig falsch eingeschätzt habe und dann von der harten Realität eingeholt wurde (so wie die betroffene Person selber und die Führungskräfte auch).

Beste Grüße

Dash

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Hallo @Dash ,

vielen Dank für Deine sehr werthaltigen Ergänzungen! Ja, ich kenne auch solche “Exemplare” an Führungskräften (auch aus Deiner Branche). Und in der Tat mag der Grat schmal erscheinen zwischen “die quatschen wirklich nur privat” und “ich habe als Unternehmen auch inhaltlich etwas von dem informellen Austausch”. Selbstverständlich kann ich weiterhin eher auf Hardliner machen mit genauer Zeitaufschreibung und Buchung auf Mandate, so dass diese Zeiten dann nicht-produktiv wären und zu reduzieren sind. Oder ich akzeptiere, dass Prävention besser ist als Ausfallzeiten und Nachsorge. Oder ich gehe ins Risiko als Unternehmer auf Kosten der Beschäftigten. Dann ist das am Ende jedoch vermutlich trotzdem mein unternehmerisches Risiko, wenn die Menschen dann gehen oder sich eben keine Menschen bei mir mehr bewerben.

Ich möchte niemandem etwas vorschreiben - aber heute sollten sich Unternehmer (und HR sowieso) schon vor Augen führen, was es ganzheitlich bedeutet, ohne Punkt und Komma zu buckeln und ranzuklotzen. Soll niemand ankommen und sagen, er / sie hätte es nicht wissen können …

Viele Grüße zum Feierabend ;)

Stefan

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Guten Morgen Stefan,

Danke für die Rückmeldung, der ich sehr zustimme. Ist halt ein Investment in die Zukunft. Ist ein höhenverstellbarer Schreibtisch ja auch. Der macht ja auch keinen Umsatz. Also ich denke, da sollte sich die Grundeinstellung ändern, sonst wird es nix, denn sonst wird es im Hinterkopf weiter als Geldverschwendung wahrgenommen. Aber das ist genau der springende Punkt, also Geld vs. Mitarbeiter(-gesundheit).

Hast du denn einen Tipp/Meinung zu dem Punkt 1 von mir oben?

Beste Grüße

Dash

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Guten Morgen @Dash ,

Deinen Punkt 1 kann ich auch persönlich sehr gut nachvollziehen. Das ist besonders schwierig, weil hier die Problemlage auch seitens der Mitarbeitenden nicht erkannt wird. Ich sag mal so: Als Arbeitgeber sollte ich hier sehr deutlich machen, dass eine Einhaltung gesetzlicher Pausen- und Ruhezeiten absolut unumgänglich ist und auch so gewünscht wird. Wenn eine Person sich dann in vermeintlicher (!) Eigenverantwortung trotzdem selbst übertaktet, sehe ich wenig Möglichkeiten für einen Arbeitgeber - das Androhen arbeitsrechtlicher Maßnahmen wäre hier zwar denkbar, vermutlich aber eher kontraproduktiv.

Wir müssen uns immer klar machen, dass wir über erwachsene Menschen sprechen (Ausnahme Azubis). Da sind m.E. die Möglichkeiten des Fremdschutzes durchaus begrenzt - vor allem wenn die Mehr- oder zusätzliche Arbeit remote erfolgt. Vor Ort sieht es etwas anders aus, weil ich die Person zumindest “nach Hause schicken” kann.

Hilft Dir das als Antwort?

Viele Grüße und einen guten Start in den sonnigen Tag

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Hallo Stefan,

ja, das hilft mir, denn es zeigt, dass man zwar viel versuchen kann, aber am Ende doch auch an seine Grenzen stößt und das normal ist. Und solange man es nicht bewusst übersieht sondern anspricht und versucht zu ändern, hat man immerhin nichts falsch gemacht. Aber in der Konsequenz trifft es einen dann natürlich dennoch heftig, den betroffenen Kollegen natürlich noch mehr. 

Beste Grüße

Dash

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Welche Maßnahmen stehen bei Euch zum Thema mentale Gesundheit als Arbeitgeber schon auf dem Programm?

Hallo,

ich greife diese Frage nochmal auf, da mich das Thema sehr interessiert und es doch noch ganz viele interessante Meinungen und Erfahrungen hier in der Community geben muss.

Ich fände es sehr spannend, hier noch weitere Ansichten und Einblicke zu lesen/erfahren.

Beste Grüße

Dash

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Huhu zusammen, 

ich habe tatsächlich auch noch sehr viel Grummeln im Bauch, was die Einstellung zu dem Thema betrifft. Das ist definitiv ein langer Prozess, der aber m.E.n. TopDown stattfinden MUSS. Wir haben mittlerweile, glücklicherweise, immer mehr Führungskräfte, die Ihre Ruhezeiten auch einhalten möchten und soetwas vorzuleben wirkt ja manchmal Wunder :) 

Ich habe vor kurzem von einem Unternehmen erfahren, dass in seinem Onboarding-Prozess aufgenommen hat, dass man mit 5 Kolleginnen und Kollegen einen jeweils 15-minütigen Spaziergang bis zum Ende der Probezeit machen soll. Dort soll es dann um Themen innerhalb des Unternehmens gehen, aber es darf natürlich auch privat geplaudert werden - alles Arbeitszeit :) Fand ich irgendwie ein cooler Ansatz und passt zumindest ein bisschen ins Thema hier rein. 

Selina hatte mal zum Thema Konflikt in der Ukraine ein paar Einblicke geteilt, wie Personio mit psychischer Belastung umgeht - das fand ich spannend. 

Leider hinken wir hier auch noch etwas hinterher, weshalb ich leider keine weiteren Tipps geben kann.

LG, Elena

 

 

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Das mit dem Spaziergang ist echt eine klasse Idee! Danke fürs Teilen, liebe @Elena!

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