Liebe Community,
erst wenige Tage ist es her, da konntet Ihr Eure arbeitsrechtlichen Fragen in unserer Ask Me Anything Session an unseren Rechtsexperten Michael Kalbfus stellen. Bereits im letzten Jahr entstanden die ersten Diskussionen anlässlich des September-Urteils vom Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung. Nun hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hierzu den erwarteten Referentenentwurf vorgelegt.
Nach §16 Abs. 2 ArbZG-E werden Arbeitgeber*innen verpflichtet sein Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen. - Bundesrechtsanwaltskammer
Genaueres zur aktuellen Rechtslage haben wir nun gemeinsam mit Euch in unserer letzten Ask Me Anything Session (Update) behandelt. Vor dem Online Event hattet Ihr die Möglichkeit, Euch zur Thematik im Community Thread auszutauschen und vorab Fragen an Michael zu stellen. Diese und viele mehr haben wir dann gemeinsam mit Euch live beantwortet.
🎥 Wer das Ask Me Anything von letzter Woche verpasst hat oder sich das Wichtigste noch einmal ansehen möchte, kann sich hierzu die Videoaufzeichnung ansehen.
Während des Events konnten wir Eure zahlreichen Fragen zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung behandeln. Eure offenen Fragen aus der Session beantwortete Michael im Weiteren wie folgt:
Kann die tägliche Zeiterfassung auch bei der “freien Wirtschaft” im Vertrag festgehalten werden?
Ausnahmen sollen nach dem aktuellen Referentenentwurf tatsächlich nur in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden können. Damit haben lediglich tarifgebundene Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit zur Regelung von Ausnahmen. Es ging dem Gesetzgeber hier wohl um eine Stärkung der Tarifvertragsparteien.
Kann man Arbeitnehmer*innen verpflichten, eine App zur Zeiterfassung zu nutzen?
Grundsätzlich ja, und zwar auf Basis des Direktionsrechts des Arbeitgebers (bei Unternehmen mit Betriebsrat hat dieser ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Hierfür ist es allerdings grundsätzlich Voraussetzung, dass der Arbeitgeber die technischen Voraussetzungen zur Nutzung der App schafft, d.h. die App auf vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Geräten verwendet werden kann. Ist für die Nutzung der App ein Privatgerät erforderlich, kann dies ein Hindernis bei der Anweisung zur Nutzung der App sein. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst in der Regel nicht die Verpflichtung zur Nutzung eines privaten Geräts zu dienstlichen Zwecken. Wenn Arbeitnehmer*innen allerdings bereit sind, ihr Privatgerät zu verwenden, sollte diese Nutzung klaren Regeln unterworfen werden (insb. aus Gründen der Datensicherheit und des Datenschutzes), vergleichbar einer "Bring-your-own-device"-Vereinbarung. Auch eventuelle Beteiligungsrechte des Betriebsrats sind zu beachten, falls ein solcher existiert.
Kann bei der Zeiterfassung die Eingabe eines Projektes verpflichtend gemacht werden? Darüber soll u.a. zwischen Büro, Homeoffice und Dienstreise unterschieden werden.
Der aktuell vorliegende Referentenentwurf verlangt nur die Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen. Aber solange diese Voraussetzungen erfüllt werden, kann man natürlich auch über die Anforderungen des Referentenentwurfs hinausgehen und weitere Informationen erfassen (bzw. die Arbeitnehmer*innen verpflichten, dies zu tun), soweit dies für nachvollziehbare, unternehmerische Zwecke erforderlich sein sollte. Auch hier gilt aber bei Unternehmen mit Betriebsräten wieder, dass diese im Zweifel aufgrund bestehender Mitbestimmungsrechte bei der Aufstellung von Regelungen zu über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehenden Aufzeichnungspflichten zu beteiligen sind.
Wer muss keine Arbeitszeit erfassen?
Die Arbeitszeit der leitenden Angestellten muss nicht erfasst werden. Hieran hat der Referentenentwurf nichts geändert. Das bereits geltende Gesetz verweist in § 18 ArbZG auf den Begriff des „leitenden Angestellten“ im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG. Nach dieser Vorschrift ist leitende*r Angestellte*r
- wer zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmer*innen berechtigt ist oder
- wer Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist oder
- wer regelmäßig Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt. Voraussetzung hierfür ist, dass der/die Arbeitnehmer*in Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst.
Die Anforderungen an die rechtliche Einordnung von Personen als leitende Angestellte sind erfahrungsgemäß hoch. In der Praxis sind viel weniger Personen tatsächlich leitende Angestellte, als Arbeitgeber in der Regel meinen. Neben den leitenden Angestellten (dies dürfte der wichtigste Fall in der Praxis sein) nennt der (bisher schon geltende) § 18 ArbZG ein paar weitere Personengruppen, deren Arbeitszeit nicht erfasst werden muss (z.B. die Arbeitszeit von Chefärzt*innen). Für Geschäftsführer*innen und Vorstände gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ebenfalls nicht (ohne dass dies ausdrücklich im Gesetz klargestellt wäre).
Was passiert, wenn keine Arbeitszeit erfasst wird?
Soweit für nicht von Erfassungspflicht ausgenommene Arbeitnehmergruppen keine Arbeitszeiten erfasst werden, verstößt dies gegen den Gesetzesentwurf. Dieser sieht hierfür eine Bußgeldpflicht vor. Aber auch bereits jetzt, d.h. vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelungen stellt die Nichterfassung von Arbeitszeiten für Personengruppen, die nicht von der Erfassungspflicht ausgenommen sind, einen Gesetzesverstoß dar. Das BAG hat in seiner Entscheidung im letzten Jahr klargestellt, dass Arbeitszeiten umfassend aufzuzeichnen sind. Da das BAG diese Pflicht aber aus dem Arbeitsschutzgesetz hergeleitet hat, bedürfte es wohl zunächst einer Anordnung der zuständigen Behörde, die nicht befolgt wird, um ein Bußgeld verhängen zu können.
Soweit die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung an Arbeitnehmende ordnungsgemäß delegiert ist, diese aber ihre Arbeitszeit nicht erfassen, stellt dies im Übrigen einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten dar, auf den der Arbeitgeber reagieren muss (z.B. mit Schulungen oder ggf. auch mit Sanktionen).
Was gilt bzgl. Vertrauensarbeitszeit?
Eine Vertrauensarbeitszeit, bei der ein Arbeitgeber überhaupt keine Arbeitszeit (oder wie nach bisher verstandener Rechtslage nur die über die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit) erfasst, ist nach dem aktuellen Referentenentwurf nicht mehr möglich. Der Referentenentwurf versteht Vertrauensarbeitszeit abweichend hiervon als ein Modell, bei dem die Arbeitszeit zu erfassen ist und der Arbeitgeber lediglich auf die Festlegung der Lage, d.h. von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichtet. Zu diesem Zweck kann der Arbeitgeber nach dem aktuellen Referentenentwurf die Aufzeichnung der Arbeitszeit an die Arbeitnehmer*innen übertragen und auf die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeit verzichten. Er bleibt aber dennoch für die Aufzeichnung der Arbeitszeit verantwortlich und muss durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden (z.B. durch Warnfunktionen des elektronischen Zeiterfassungssystems).
Sollte Euer Unternehmen weitere oder individuelle rechtliche Beratung wünschen, könnt Ihr Euch auch direkt bei Michael per E-Mail melden: Michael.Kalbfus@noerr.com
Einen Ausblick über Neuerungen und kommende Funktionalitäten zu unserem Zeiterfassungsprodukt konnte Euch
Liebe Grüße und eine schöne Restwoche,
Eure Melissa